Caracciolas beleidigter Erbe

Es ist ein trüber Wintertag im Dezember 2015. Früh wird es dunkel, die Menschen sind gehetzt und dünnhäutig. Die Einen wollen nur schnell nach Hause, die Anderen müssen im Dienstleistungsgewerbe arbeiten. Das ist der Plot für diese Busgeschichte.

An diesem Tag erwische ich einen Busfahrer, dessen Berufswunsch es vermutlich schon immer war „Fahrer“ zu werden. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass er lieber Rennfahrer geworden wäre, als Menschen in einem Stadtbus zu kutschieren. Jedenfalls erinnert sein Fahrstil nicht unbedingt an den eines umsichtig, degressiv fahrenden Personenbeförderers.
Es mag am Zeitdruck durch die enge Taktung des Fahrplans, in Kombination mit dem die Stadt verstopfenden Feierabendverkehr gelegen haben, aber Dreißigerzonen, Kurven, Kreuzungen und Kreisel sind für meinen heutigen Großraumlimousinenchauffeur kein Grund die Geschwindigkeit übermäßig zu reduzieren.
Merke: Es ist kein gutes Zeichen, wenn Fahrgäste sich festhalten müssen, obwohl sie einen Sitzplatz haben!

Und nun sollte alles zusammenkommen: Zwischen zwei nicht weit entfernten Haltestellen gibt der Fahrer wieder ordentlich Gas, als ein Kind unachtsam die dreispurige Hauptstraße überquert. Dies zwingt den Fahrer zu einem starken Bremsmanöver, was im Bus für rollende Kinderwagen, fliegende Gegenstände und wenig Begeisterung sorgt. Über das Bremsen regt sich ein Fahrgast dermaßen auf, dass der Fahrer noch vor der nächsten Haltestelle die Türen öffnet und ihn „bittet“ auszusteigen, was dieser jedoch verweigert.
Da ich grundsätzlich mit Musik auf den Ohren unterwegs bin, schalte ich diese nun aus, um zu hören, was vor sich geht. Die Worte die jetzt fallen, werde ich nicht wiederholen. Unterhaltsam und zugleich traurig wird es, als sich eine Mutter, deren Kinderwagen durch das Bremsen in Bewegung kam, aber nicht umfiel, oder gar das Kind verlor, einschaltet. Sie stürmt zum Fahrer, beleidigt und bedroht ihn auf eine asoziale Weise, die ihr Äußeres zunächst nicht vermuten ließ.

Der Fahrer, der leider nicht sehr gut Deutsch sprach, fühlte sich jetzt derart beleidigt, dass er an der kommenden Haltestelle nicht gewillt ist die Fahrt fortzusetzen. Soweit finde ich es noch verständlich. Allerdings hat der Fahrer es nicht für nötig gehalten die anderen Fahrgäste darüber zu informieren. Auf meine Nachfrage bekam ich lediglich „nicht fahren, Polizei“ zu hören.
So durften Kinder, Senioren und alle anderen Fahrgäste den Bus verlassen und sich in die winterliche Kälte stellen, um auf den nächsten Bus zu warten. Nebenbei: Eine direkte Ansage des Fahrers hätte das Umsteigen in den zu Bus hinter „unserem“ ermöglicht. So durfte ich, gemeinsam mit allen anderen, eine Haltestelle vor meiner Destination auf den nächsten Bus warten.
Was das ganze besonders absurd macht, ist die Tatsache, dass der Fahrer nun alleine in seinem leeren Bus auf die Polizei wartete. Zunächst wollte der „Beleidiger“ den Bus nicht verlassen, ist dann aber doch in dem nächsten Bus mitgefahren.
Vermutlich dürfte diese „beleidigte Leberwurst-Aktion“ des Fahrers niemandem etwas genutzt haben. Ein Fahrer, der der Polizei, so sie denn überhaupt kam, keinen „Täter“ präsentieren konnte, frierende Fahrgäste, ein ausgefallener und ein überfüllter Bus.
Immerhin: Der Caracciola des Personenbeförderungsgewerbes wird seine Fahrt rasant fortgesetzt haben.

(Die Wagennummer des Busses liegt vor.)


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